„Impfschutz ist Kindesschutz und Erwachsenenschutz“ 10 Fragen an Prof. Dr. med. Adolf Windorfer

19. Mai 2021

19. Mai 2021   

Nach dem Medizinstudium (Heidelberg, München, Erlangen) erhielt Prof Dr. med. Adolf Windorfer ein Stipendium am Max-Planck-Institut Göttingen und führte anschließend seine Weiterbildung Pädiatrie an der Univ. Kinderklinik Freiburg mit der Spezialisierung „Klinische Pharmakologie“ durch. Danach war er als Oberarzt in der Ambulanz an der Kinderklinik der TU München tätig und arbeitete später als Leiter der Gesundheitsabteilung am niedersächsischen Sozialministerium, wo Windorfer anschließend bis zur Pensionierung Präsident des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes war. Zusätzlich engagierte er sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in mehreren afrikanischen Ländern. Im Jahr 2000 gründete er gemeinsam mit Ehefrau Celia Windorfer die Stiftung EINE CHANCE FÜR KINDER und die Niedersächsische Gesellschaft für Impfwesen und Kindesschutz.

 

1.     In Ihrer Laufbahn haben Sie sehr unterschiedliche Tätigkeiten ausgeführt, vom Oberarzt über den Leiter einer Gesundheitsabteilung eines Ministeriums in Niedersachsen bis hin zum Vorsitz einer Stiftung. Hat Sie das Thema Impfen dabei immer begleitet?

Noch in meinem Studium habe ich hautnah eine Polio Epidemie mit toten Kindern und Gelähmten miterleben müssen. Auch schwer erkrankte Tetanuspatienten erlebte ich immer wieder. Das Thema Infektionskrankheiten und der Schutz davor hatte mich dann bei meiner Arbeit als Kinderarzt, aber auch in meiner späteren Arbeit im öffentlichen Gesundheitsdienst immer intensiv begleitet. So gab es in den 70er und 80er Jahren noch häufig Infektionen wie z.B. Keuchhusten, Röteln, Hepatitis A, Hepatitis B oder Hirnhautentzündungen bei Säuglingen und Kleinkindern verursacht durch Meningokokken oder Pneumokokken. Später gab mir die Arbeit als Leiter der Gesundheitsabteilung des Sozialministeriums sowie später als Präsident des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes die Gelegenheit erfolgreiche Impfaktionen z.B. gegen Röteln, Masern oder Grippe durchzuführen.

 

2.     Während Ihrer Tätigkeit als Präsident des Landesgesundheitsamtes Niedersachsen hatten Sie sicherlich viele Berührungspunkte mit bürokratischen Hürden. Falls ja, hat sich Ihr Standpunkt zum Impfen mit dem Wechsel der Tätigkeit teilweise mitverändert?

Schieben wir mal die bürokratisch-organisatorischen Besonderheiten im Zusammenhang mit der Impfung gegen das Corona-Virus auf die Seite. Die Durchführung von Impfungen zur effektiven Vermeidung von vielen gefährlichen Infektionskrankheiten ist bei uns in Deutschland überhaupt nicht mit störenden bürokratischen Hürden verbunden; die fachlichen Empfehlungen durch die Ständige Impfkommission – STIKO - und die rechtlichen Vorgaben durch das Infektionsschutzgesetz sind hingegen sehr wichtig, damit die Menschen bei uns gut geschützt und auch rechtlich abgesichert sind. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass alle wirksamen Eingriffe in das biologische System des Körpers, – seien es therapeutische oder präventive Maßnahmen – sowohl erwünschte wie auch unerwünschte Wirkungen haben können. Die unerwünschten Wirkungen sind bei Impfungen zwar extrem selten, kommen aber eben in ganz seltenen Fällen auch mal vor. Daher ist es wichtig die Menschen rechtlich abzusichern. In meiner Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst habe ich erst richtig erkannt wie wichtig die fachlichen Empfehlungen und die rechtlichen Regularien sind.

 

3.     Was sind nach Ihrer Ansicht die Gründe für die nachlassende Impfbereitschaft in Deutschland?

Es wird oft fälschlicherweise angenommen, dass konsequente Impfgegner das Hauptproblem für eine teilweise geringe Impfbereitschaft sind, z.B. bei Impfungen gegen Grippe oder gegen Masern. Das stimmt jedoch so nicht, denn die Hauptursache für eine „nachlassende Impfbereitschaft“ ist das Vergessen/Verdrängen von Impfungen. Der Grund dafür ist vor allem die Tatsache, dass viele der Infektionskrankheiten, die noch vor 40 oder 50 Jahren auch in Deutschland so bedrohlich waren, bei uns inzwischen wegen der erfolgreichen Impfungen scheinbar keine Rolle mehr spielen. Das hat auch zur Folge, dass die Menschen bei uns keine Angst/Sorge mehr vor diesen Krankheiten haben; und – das geht uns doch allen so - wenn wir keine Angst vor etwas haben, dann sehen wir auch keinen Anlass uns zu schützen. Blicken wir auf die tausenden Kinder, die im Jemen an Diphtherie versterben, dann berührt uns das hinsichtlich unseres eigenen Schutzes doch praktisch nicht, denn „der Jemen ist ja weit weg“ und wir fahren da auch nicht im Urlaub hin. Dabei übersehen wir jedoch, dass diese und auch andere Infektionen bei uns jederzeit wieder eingeschleppt werden können, wenn wir uns nicht schützen.

 

4.     Was kann man unternehmen, um die Impfbereitschaft zu steigern?

Es müssen nur geeignetere Maßnahmen getroffen werden, um die Menschen in Deutschland von der nach wie vor unbedingt bestehenden Notwendigkeit des Impfschutzes für sich selbst und für andere zu überzeugen. Da helfen überhaupt nicht die relativ albernen Propaganda-Aktionen wie z.B. „Deutschland sucht den Impfpass“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Es müssen Maßnahmen sein, die die Menschen davon überzeugen können, dass Infektionen und vor allem deren Komplikationen auch heute noch sehr gefährlich sein können. Als bestes Beispiel möchte ich die Grippe nennen: Für die meisten Menschen in Deutschland ist diese Erkrankung verbunden mit „Husten, Schnupfen, Heiserkeit“. Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass es sich bei Grippe um eine Virusinfektion handelt, die den gesamten Körper betrifft und dass vor allem die Komplikationen schwer bis tödlich sein können. Wann wurde es schon mal deutlich vermittelt, dass – nach Angaben des RKI - allein in Deutschland in der Grippesaison 2017/18, d. h. innerhalb von nur 4-5 Monaten 25.000 Menschen an Grippe und ihren Komplikationen verstorben sind. Dasselbe gilt auch für andere Infektionen, die zwar gegenwärtig bei uns weitgehend verschwunden zu sein scheinen, aber auch immer wieder auftauchen können. Niemand kann sich anscheinend mehr daran erinnern, wie Mitte der 90er Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion in dem neuen Staat Russland tausende Menschen wieder an Diphtherie erkrankten. Erst durch Impfbemühungen der WHO gemeinsam mit Ländern der EU konnte durch viele Impfungen diese riesige Infektionswelle wieder gebrochen werden. Das bedeutet nicht, dass man Panik erzeugen soll, aber richtige intensive und nachvollziehbare Aufklärung über die nach wie vor bestehenden Infektionsmöglichkeiten und deren Folgen sind unerlässlich.

Da viele Menschen gar nicht wissen wo sie ihren Impfpass haben oder wann sie welche der empfohlenen Impfungen bekommen haben, muss in allen Arztpraxen immer wieder nach dem Impfpass gefragt und vor allem auch eine Beratung durch gut qualifizierte „Impfbeauftragte“ d.h. Medizinische Fachangestellte angeboten werden.

 

5.     Wurden Sie in Ihrem beruflichen Alltag häufig mit Impfkritik konfrontiert? Wie gehen Sie damit um?

Wie bereits gesagt, das Haupthindernis sind nicht die dogmatischen und fanatischen Impfgegner, sondern die „Impfvergesser“. Mit einem überzeugten Impfgegner zu diskutieren ist völlig sinnlos; das ist wie wenn man einem Kleinkind sein Spielzeug wegnehmen möchte. Impfgegner werden auch immer wieder mit so vielen „fake news“ versorgt von Organisationen, die von der Gefährlichkeit aber auch der Sinnlosigkeit von Impfungen überzeugen wollen: Argument: „Infektionen gibt es ja gar nicht und Impfungen sind nur gefährlich“.

Etwas anders ist allerdings die Situation bei einzelnen Ärzten, die ebenfalls - aus welcher Überzeugung auch immer - von Impfungen abraten. Denn hierbei sind die rechtlichen Vorgaben wichtig, da der Bundesgerichtshof schon vor vielen Jahren eindeutig entschieden hat, dass Ärztinnen/Ärzte und Hebammen nicht von den durch die STIKO empfohlenen Impfungen abraten dürfen. Hier muss von den örtlichen Gesundheitsbehörden stärker eingegriffen werden.

 

6.     Gab es in Ihrer beruflichen Laufbahn eindrückliche Erfahrungen mit schweren Erkrankungen von Kindern, die durch eine Impfung hätten verhindert werden können?

Besonders nachhaltig berührt hat mich in meiner Zeit als Oberarzt in München ein türkisches Elternpaar, die mit ihrem 13-jährigen Sohn im Rollstuhl in unsere Ambulanz kamen. Der Junge hatte „lediglich“ eine Masernerkrankung gehabt, aber mit der Komplikation einer Gehirnentzündung. Auch damals gab es bereits eine Masernimpfung. Derartige eigene Erfahrungen sind sehr prägend und demonstrieren nachdrücklich was Komplikationen von anscheinend sonst auch harmlosen Infektionen anrichten können. Auch das noch in den 80er Jahren in Hannover existierende „Taub-Blinden-Zentrum“ konnte Ähnliches demonstrieren: Die dort betreuten Kinder und Jugendlichen waren z.B. Opfer einer Röteln-Infektion der Mutter während der Schwangerschaft gewesen oder hatten als Säugling eine bakterielle Hirnhautentzündung gehabt. Diese Einrichtung gibt es nicht mehr, da gegenwärtig praktisch keine Rötelninfektionen mehr bei Schwangeren vorkommen.

 

7.     Sehen Sie auch von Seiten der Politik Möglichkeiten die Impfakzeptanz in Deutschland zu erhöhen? Welche Mittel würden Sie selbst hier als wirksam erachten? Was halten Sie von einer Impfpflicht?

Die „Politik“ hat ihre Aufgaben mit der Einrichtung von fachlichen Empfehlungen und rechtlichen Vorgaben durch die Schaffung des Infektionsschutzgesetzes eigentlich erfüllt. Es kann natürlich auch wirkungsvoll sein, wenn sich Politiker auch persönlich zu der unbedingten Notwendigkeit von den von der STIKO empfohlenen Impfungen äußern würden oder – wie dies jetzt bei den Corona-Impfungen geschieht – sich auch selbst in der Öffentlichkeit impfen lassen würden. Es ist aber vor allem Aufgabe des Robert-Koch-Instituts und der verschiedenen Ärzteverbände in ganz anderem Ausmaß als bisher und in wirklich praktischer Verständlichkeit für die Durchführung von Impfungen zu werben. Auch in den Medien und den sozialen Netzwerken könnte hierbei ganz wesentliche Überzeugungsarbeit geleistet werden, denn darauf hören einfach viele Menschen.

Ich bin der Überzeugung, dass uns eine „Impfpflicht“ bei der Steigerung der Impfbereitschaft nicht weiterbringt. Es müssen andere, vielleicht etwas mühevollere Mittel der Überzeugung und der Information eingesetzt werden, wie ich sie oben beispielhaft beschrieben habe.

 

8.     Gegen was haben Sie sich zuletzt impfen lassen und wie halten Sie Ihren Impfschutz auf dem neusten Stand?

Im vergangenen Jahr hatte ich 2 Impfungen gegen Herpes Zoster sowie die sequentielle Impfung gegen Pneumokokken. Im März/April die Impfung gegen SARS-CoV-2.

 

9.     Darüber hinaus sind Sie Vorsitzender der Stiftung „Eine Chance für Kinder“. Wofür setzt sich diese Stiftung ein und welche Rolle spielen präventive Schutzimpfungen hierbei?

Die Aufgabe der Stiftung EINE CHANCE FÜR KINDER ist es Eltern dazu zu bringen sich liebevoll um ihre Kinder zu kümmern. Dazu gehört neben der emotionalen Fürsorge auch die geeignete gesundheitliche Betreuung, z. B. Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. Daher ist eine unserer Devisen: „Impfschutz ist Kindesschutz und Erwachsenenschutz“; dies bedeutet, dass Eltern ihre Kinder und sich selbst unbedingt vor den Komplikationen von Infektionskrankheiten schützen sollen; dafür müssen sie gut und verständlich informiert werden. Denn Impfschutz ist zum einen für jeden selbst wichtig, aber auch für unsere Umgebung, d.h. als Solidarmaßnahme. Ich habe den Eindruck, dass gerade Jugendliche sich wieder mehr für „Solidarität“ begeistern lassen und das wollen wir unbedingt weiter fördern.

 

10.  Ich lasse mich impfen, weil…

Weil ich mich selbst, aber auch viele andere vor Infektionskrankheiten und ihren Komplikationen schützen möchte.

 

Herzlichen Dank an Prof. Dr. med. Adolf Windorfer für das Interview!

Stiftung EINE CHANCE FÜR KINDER 

Niedersächsische Gesellschaft für Impfwesen und Kindesschutz